Junge und Mädchen (Pexels auf Pixabay)

Die Bertelsmann-Stiftung hat Anfang 2023 eine Studie zur Kinder- und Jugendarmut veröffentlicht.

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Vor diesem Hintergrund haben wir die verantwortliche Autorin der Studie, Antje Funke, interviewt. Sie ist in der Bertelsmann Stiftung Senior Expert Familie und Bildung und verantwortet das Projekt „Familie und Bildung: Politik vom Kind aus denken“.

Antje Funcke (Fotostudio Clemens)

Fragen an Antje Funke

Was ist die wichtigste Erkenntnis ihrer aktuellen Studie zur Kinder- und Jugendarmut?

Zentrales Ergebnis ist, dass Kinder- und Jugendarmut nach wie vor ein ungelöstes strukturelles Problem in Deutschland ist. 2,88 Millionen Kinder unter 18 Jahren sowie 1,55 Millionen junge Erwachsene von 18 bis 24 Jahren sind in unserer Gesellschaft armutsgefährdet. Das heißt: Mehr als jedes fünfte Kind und jede/ Vierte junge Erwachsene.

Armut bedeutet für junge Menschen Mangel und Verzicht, es bedeutet sich zu schämen und ausgegrenzt zu werden. Das zeigen zahlreiche Studien. Armut geht aber auch mit Benachteiligungen in nahezu allen Lebensbereichen einher, d.h. einer schlechteren Gesundheit, geringere sozialer und kultureller Teilhabe und schlechteren Bildungschancen. Sie hat damit nicht nur Auswirkungen auf das jetzige Leben von jungen Menschen, sondern auch für ihre Zukunft. Und auch die Gesellschaft muss die Folgen tragen.

Angesichts der aktuellen Krisen und der Preissteigerungen steht zu befürchten, dass die Armut eher zunimmt. Daher muss die Vermeidung von Kinder- und Jugendarmut gerade jetzt politisch Priorität haben.

Wie sehen Sie die Entwicklung in Schleswig-Holstein?

In Schleswig-Holstein liegt die Armutsgefährdungsquote bei den unter 18-Jährigen mit 18,7 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt von 20,8 Prozent, bei den 18- bis 24-Jährigen liegt sie mit 26,2 Prozent leicht darüber (bundesweit 25,5 %).

Will man detaillierter auf die Situation in den Bundesländern schauen, muss man den SGB II-Bezug als sozialstaatliche Armutsdefinition heranziehen. Da zeigt sich, dass sich sie Situation bei den Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren kaum verbessert hat: 2014 und 2019 lag die SGB II-Quote von unter 18-Jährigen in Schleswig-Holstein bei jeweils 15,1 Prozent, im Juni 2022 bei 14,4 Prozent. Dabei gibt es regional nochmal große Unterschiede. Während in Kiel im Juni 2022 27 Prozent der Kinder unter 18 Jahren SGB II-Leistungen beziehen, sind es im Kreis Stormarn 9,7 Prozent.

Wie können lokale Institutionen und private Förderer effektiv helfen?

Auf kommunaler Ebene ist es wichtig, dass Kinder, Jugendliche und Familien in prekären finanziellen Situationen vertrauensvolle Anlaufstellen finden, die ihnen zuerst einmal dabei helfen, dass die staatliche Unterstützung, die es aktuell gibt, auch wirklich von ihnen in Anspruch genommen wird. Das betrifft z. B. Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets, Kinderzuschlag und auch SGB II-Leistungen, aber auch Angebote wie Erziehungs- und Bildungsberatungen, Schuldnerberatung o. ä. Dabei ist es entscheidend, dass den Menschen nicht abwertend begegnet wird.

Darüber hinaus sind es vor allem alleinerziehende Familien und Mehrkindfamilien, die besonders häufig von Armut betroffen sind. Denn leider steigt in Deutschland das Armutsrisiko mit der Kinderzahl. Entsprechend könnten Initiativen und Stiftungen hier einen Schwerpunkt legen und z. B. gezielt Initiativen für diese Familien schaffen. Das können z. B. Randbetreuungs-Angebote für Kinder Alleinerziehender sein. Bei Mehrkindfamilien könnte z. B. Unterstützung für Freizeitangebote oder auch Ferien hilfreich sein.

Oftmals gelten z. B. Familieneintrittskarten im Schwimmbad oder Zoo nur für Familien mit maximal drei Kindern – das benachteiligt Mehrkindfamilien deutlich, wenn sie für die weiteren Kinder dann den vollen Preis zahlen müssen.

Und schließlich könnten private Initiativen Mentoringprogramme für Kinder und Jugendliche in prekären Lebenslagen anstoßen, in denen ältere Jugendliche oder auch Erwachsene sie in der Schule oder beim Übergang in eine Ausbildung unterstützen, mit ihnen Freizeitaktivitäten unternehmen, ihnen bei Problemen zuhören und Wertschätzung entgegenbringen.

Kinder- und Jugendarmut: SGB-II-Bezug (Berteslmann-Stiftung)

Text: Redaktion

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