Der 124. Deutsche Ärztetag fordert konkrete Konsequenzen aus den Fehlern im Umgang mit der Corona-Pandemie in den letzten 15 Monaten
Das Pandemiemanagement und die Krisenreaktionsfähigkeit in Deutschland müssten dringend optimiert werden. Die vergangenen Monate haben Defizite offengelegt. Bund und Länder sind aufgefordert, diese Schwachstellen gemeinsam mit der ärztlichen Selbstverwaltung zu analysieren und das Gesundheitswesen in Deutschland zukunfts- und krisenfest aufzustellen.
Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken
Die Amtsärztinnen und Amtsärzte sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben im Verlauf der Corona Pandemie Herausragendes geleistet.
- Um die bestehenden Defizite im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) zu beheben, ist die schnelle und umfassende Umsetzung des von Bund und Ländern geschlossenen Paktes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst unerlässlich.
- Erforderlich ist darüber hinaus eine grundsätzliche Strukturreform des ÖGD. Sie muss unter anderem eine zentrale Stelle zur Koordination der Aktivitäten der einzelnen Gesundheitsämter und zur Entwicklung von technischen sowie inhaltlich-fachlichen Standards beinhalten.
- Flächendeckend sind alle Gesundheitsämter mit digitalen Kontaktnachverfolgungssystemen sowie einheitlichen Schnittstellen für eine Anbindung an das Robert Koch-Institut (RKI) auszustatten.
- Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt/Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen sollten durch Einrichtung regionaler Weiterbildungsverbünde stärker unterstützt werden.
Patientengerechte Krankenhausplanung, -finanzierung und -vergütung
- Die Erfahrungen aus der Pandemie zeigen, dass Personalressourcen und Reservekapazitäten in der Krankenhausplanung sachgerechter definiert und finanziert werden müssen, als dies heute der Fall ist.
- Eine moderne Krankenhausplanung muss außerdem durch eine Neustrukturierung der Krankenhausinvestitionsfinanzierung und der Krankenhausvergütung flankiert werden.
- Zusätzlich sind kurzfristig gezielte und sachgerechte Lösungen zur ausreichenden Finanzierung stationärer Leistungen in der Corona Pandemie erforderlich.
Arztpraxen bei Corona Krisenbewältigung unterstützen
Der in der Corona Pandemie eingeführte finanzielle Schutzschirm für die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte mit finanziellen Ausgleichszahlungen durch die Krankenkassen muss als Schutzinstrument für den Bedarfsfall dauerhaft im SGB V verankert werden.
Ärztlichen Nachwuchs fördern, attraktive Studienbedingungen schaffen
Die Bundesländer sind gefordert, ausreichende Studienplatzkapazitäten im Fach Humanmedizin zu schaffen und diese auch nachhaltig zu finanzieren. Um Ärzten den Schritt in die Niederlassung zu erleichtern bzw. Praxen in die Lage zu versetzen, junge Ärztinnen und Ärzte in Anstellung zu beschäftigen, sind stabile Rahmenbedingungen und deren nachhaltige Finanzierung notwendig.
Krise als Treiber für Digitalisierung nutzen
Ein Effekt der Pandemie betrifft die Auswirkungen auf die Fortentwicklung der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen. Während auf der einen Seite die Akzeptanz vieler digitaler Anwendungen deutlich gestiegen ist, legt die Pandemie auch die Defizite und Mängel im Gesundheitswesen offen.
Pandemiemanagement optimieren
Die Erfahrungen der letzten 15 Monate haben gezeigt, dass das Pandemiemanagement sowie die Krisenreaktionsfähigkeit im Falle einer pandemischen Lage dringend optimiert werden müssen:
- Im Infektionsschutzgesetz sollten feste Krisenstäbe der Bundesländer unter Einbezug der Landesärztekammern mit klar definierten Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten angelegt werden. Notwendig sind gesetzlich vorgegebene regelmäßige Übungen für alle an der Umsetzung der Pläne Beteiligten, insbesondere für die Krankenhäuser vor Ort.
- Für den Ernstfall müssen Reserven für relevante Medizinprodukte, wichtige Arzneimittel und Impfstoffe angelegt werden. Notwendig sind außerdem mehr innereuropäische Produktionsstandorte für Medizinprodukte und wichtige Arzneimittel, um sich von den Weltmärkten unabhängiger zu machen.
- Erforderlich sind europaweit vernetzte Meldestrukturen und der effiziente Aufbau einer zentralen europäischen Koordinierungsstelle, die kurzfristig Auftragsvergabeverfahren für dringend benötigte Arzneimittel oder Schutzausrüstung durchführen und die Verteilung organisieren kann.
- Für ein besseres Verständnis des Infektionsgeschehens ist eine Steigerung der Obduktionsrate unerlässlich.
- Darüber hinaus bedarf es mindestens einer Verbesserung der Surveillance, um zu einer genaueren Beurteilung des Pandemiegeschehens zu kommen sowie eine flexibel ausgestaltete Impfpriorisierung, die jederzeit an das Infektionsgeschehen und die Impfmöglichkeiten angepasst werden kann.
- Neben der Impfstoffentwicklung und -produktion ist die Förderung der Forschung an Medikamenten zur Behandlung einer Covid-19-Erkrankung durch den Bund zu intensivieren.
- Der 124. Deutsche Ärztetag 2021 stellt fest, dass es im Verlauf der Pandemie nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen, insbesondere in Alten- und Pflegeheimen, vor Ansteckung zu schützen. Aus dieser Erfahrung heraus sind geeignete Konzepte zum Schutz vulnerabler Gruppen in pandemischen Lagen zu erarbeiten.
- Der 124. Deutsche Ärztetag spricht sich außerdem für eine medizinisch-wissenschaftliche Evaluation aller Kollateraleffekte von Eindämmungs- und Schutzmaßnahmen im Hinblick auf den Zugang zur medizinischen Akutversorgung und zu notwendigen Vorsorgeleistungen sowie mögliche psycho-soziale Auswirkungen des Lockdowns aus.
- Für die weitere Krisenbewältigung und zur Vorbereitung auf zukünftige pandemische Lagen ist die Entwicklung von Handlungsstrategien zur Vermeidung derartiger Kollateraleffekte unerlässlich.
Text: Bundesärztekammer / Redaktion, Foto: Angelo Esslinger auf Pixabay